Paulus, thronende Mutter­gottes im Paradies und Mater Dei

>Hl. Paulus, Trumeaufigur im Paradies, Heinrich Brabender (zugeschr.), um 1536, H. 220 cm
>Marienrelief im Türsturz des Paradies, nach 1225, Baumberger Sandstein, 82 x 202 x 55 cm
>Hl. Maria Mater Dei, Franz Matthias Hiernle (zugeschr.), 1723, Alabaster, Sandstein, 210 x 126 x 66 cm
Position im Dom

Die Figur des Heiligen Paulus

Wer den St.-Paulus-Dom vom Domplatz her betritt, trifft in der Halle, dem sogenannten Paradies, auf eine überlebensgroße Figur des Heiligen Paulus. Die Figur ist um 1536 von Heinrich Brabender aus Baumberger Sandstein gefertigt und vor dem Pfeiler zwischen den beiden hölzerner Eingangstüren angebracht (sog. Trumeaufigur) worden. Paulus trägt in der linken Hand ein Buch als Verweis auf die Verkündigung und in der rechten Hand das Schwert, das auf seinen gewaltsamen Tod deutet.

Paulus ist der Patron des Bistums und des Domes. Der Wandermissionar Liudger, der Gründer der Diözese und der Stadt Münster, erhob im 9. Jahrhundert Paulus zum Patron für sein Missionsgebiet und stellte es unter den besonderen Schutz des Heiligen.

Der Apostel wurde um etwa 10 nach der Zeitenwende geboren und lebte zunächst in strenger pharisäischer – einer theologischen, philosophischen und politischen Schule im antiken Judentum – Familientradition. Er wurde als Rabbiner in der Tempelakademie Jerusalems ausgebildet und entwickelte sich zunächst zum Feind der jungen christlichen Gemeinde. Im Brief an die Gemeinden in Galatien schreibt Paulus über sich: „Ihr habt doch von meinem früheren Lebenswandel im Judentum gehört und wisst, wie maßlos ich die Kirche Gottes verfolgte und zu vernichten suchte. Im Judentum machte ich größere Fortschritte als die meisten Altersgenossen in meinem Volk und mit dem größten Eifer setzte ich mich für die Überlieferungen meiner Väter ein.“ (Gal 1,13f.)

Hl. Paulus, Trumeaufigur im Paradies, Heinrich Brabender (zugeschr.), um 1536, H. 220 cm © Stephan Kube, Greven
Diese Zeilen schreibt Paulus nach seinem sogenannten Damaskuserlebnis. In der Apostelgeschichte (vgl. Apg 9,1–19) wird über die Bekehrung des Saulus, so der jüdische Name des Paulus, berichtet: „Unterwegs aber, als er [Paulus] sich bereits Damaskus näherte, geschah es, dass ihn plötzlich ein Licht vom Himmel umstrahlte. Er stürzte zu Boden und hörte, wie eine Stimme zu ihm sagte: Saul, Saul, warum verfolgst du mich? Er antwortete: Wer bist du, Herr? Dieser sagte: Ich bin Jesus, den du verfolgst.“ (Apg 9,3–5). Darauf erblindet Paulus für eine Zeit. Mit der Hilfe von Christen in Damaskus erkennt er, was ihm widerfahren ist. Nach diesem Erlebnis ließ sich Paulus in Damaskus taufen und begann, Jesus als Messias – Christus = Gesalbter ist der griechische Begriff – zu verkünden. Der Glauben an Jesus und dessen Auferstehung veränderte Paulus grundlegend – er hat z. B. der Beschneidung oder Speisegeboten keine Heilsrelevanz mehr zugemessen. Auf drei großen Missionsreisen gründete er in Kleinasien, Mazedonien und Griechenland neue Gemeinden christlichen Glaubens. Seine vierte Reise brachte ihn als Gefangener nach Rom. Dort wurde er im Zuge der Christenverfolgung des Kaisers Nero enthauptet.

Im Bemühen der Abgrenzung der jungen christlichen Gemeinden, sich in Lehre und Leben von den jüdischen Traditionen zu lösen, schossen manche Theologen in der Antike und im Mittelalter über das Ziel hinaus und es entwickelte sich eine antijüdische Polemik – scharfe Angriffe ohne sachliche Argumente.

Das Damaskuserlebnis sowie die Enthauptung des sogenannten Völkerapostels zeigt der alte Hochaltar von 1621/22, eine Arbeit von Gerhard Gröninger, die sich heute im Westchor befindet. Im Paradies findet sich eine weitere Darstellung des Damaskuserlebnisses in Form eines Sandsteinreliefs über dem rechten Türsturz. Über dem linken Türsturz ist ein Marienrelief angebracht. Beide sind wohl nach 1225 entstanden.

Marienrelief im Türsturz des Paradies, nach 1225, Baumberger Sandstein, 82 x 202 x 55 cm © Stephan Kube, Greven

Das Marienrelief im Paradies

Das Marienrelief über dem linken Türsturz zeigt auf der linken Seite und in der Mitte die Anbetung der Könige nach der Geburt Christi sowie auf der rechten Seite die Beschneidung Christi bzw. die Darbringung im Tempel. Von links kommen die drei Könige mit Palmzweigen und Geschenken. Sie sind in drei verschiedenen Altern – Jüngling, Erwachsener und Greis – dargestellt, was die Gesamtheit der Menschen ausdrücken soll. Sie kommen, um dem Jesuskind zu huldigen, das auf dem Schoß Mariens sitzt. Maria mit dem Jesuskind sitzt auf einem großen Thron. Sie ist als Himmelskönigin mit Krone und Nimbus in kostbaren Gewändern dargestellt. Sie hielt in der rechten Hand, die abgebrochen und verloren ist, wohl ein Zepter. Unter ihren Füßen kauern zwei Männer, die Judentum und Heidentum verkörpern sollen. Durch die Kopfbedeckung – einem sogenannten Judenhut, der seit dem 11. Jahrhundert in der Kunst verwendet wird, um Personen als Juden zu markieren – ist der linke Mann als Jude zu identifizieren. Im Vergleich zu der rechten Figur des Heiden – hier liegt der Fuß Marias auf dem Rücken – tritt Maria die linke Figur unmittelbar auf den Kopf, sodass sich der Jude in schmerzhafter Verrenkung mit gequältem Gesichtsausdruck windet.
Mit dieser drastischen Darstellung werden verschiedene biblische Texte und mittelalterliche Theologie verbunden und ins Bild gesetzt:

Marienrelief im Türsturz des Paradies, nach 1225, Baumberger Sandstein, 82 x 202 x 55 cm, Detail © Stephan Kube, Greven

Der Psalm 110 beschreibt die Einsetzung eines Priesterkönigs. Im ersten Vers heißt es: „So spricht der HERR zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten und ich lege deine Feinde als Schemel unter deine Füße“ (Ps 110,1). Das Christentum hat Jesus, hier als Kind mit der Weltkugel als Herrschaftssymbol, mit dem als von Gott eingesetzten Herrschers verbunden. Zu diesem Herrscher, den das Matthäusevangelium als „König der Juden“ (Mt 2,2) bezeichnet, kommen die Weisen – in der Tradition der Kirche die Heiligen Drei Könige –, um ihm zu huldigen. Im Ersten Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korinth wird das alttestamentliche Bild aufgenommen, wenn es über den auferstanden Christus heißt: „Denn er muss herrschen, bis Gott ihm alle Feinde unter seine Füße gelegt hat“ (1 Kor 15,25). Maria als Urbild der Kirche, die den Thron für Jesu Christus als Weltenherrscher bildet, sind Heiden und Juden als Feinde unter die Füße gelegt. In der mittelalterlichen Theologie wurden sie als Feinde angesehen, weil sie Gott nicht kennen oder Jesus als den Messias erkannt haben. Die Juden galten als verblendet und der göttliche Bund mit ihnen als gekündigt, weil sie sich weigerten, Jesus als den Messias anzuerkennen und wegen der unbegründeten Annahme, dass sie für den Tod Jesu verantwortlich seien – „Christus-Mörder“.

Diese antijudaistischen Stereotype und christlicher Antisemitismus haben leider lange Zeit Theologie und auch die christliche Kunst geprägt. Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) hat eine grundlegende Neubestimmung des Verhältnisses von Christentum und Judentum in der katholischen Kirche stattgefunden. In der Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen Nostra Aetate vom 28. Oktober 1965 heißt es:

„Nichtsdestoweniger sind die Juden nach dem Zeugnis der Apostel immer noch von Gott geliebt um der Väter willen; sind doch seine Gnadengaben und seine Berufung unwiderruflich. […] Da also das Christen und Juden gemeinsame geistliche Erbe so reich ist, will die Heilige Synode die gegenseitige Kenntnis und Achtung fördern, die vor allem die Frucht biblischer und theologischer Studien sowie des brüderlichen Gespräches ist.“ (NA 4)

Hl. Maria Mater Dei, Franz Matthias Hiernle (zugeschr.), 1723, Alabaster, Sandstein, 210 x 126 x 66 cm © Stephan Kube, Greven

Mater Dei

Im Sinne dieser neuen Verhältnisbestimmung ist die überlebensgroße Skulptur Mater Dei aus dem Jahre 1723, die Franz Matthias Hiernle zugeschrieben wird und nach dem Eintritt durch die Paradiesportaltüren links im Dominneren steht, ein tolles und bemerkenswertes Stück. Im Saum ihres Mantels wird auf Hebräisch der Anfang von Psalm 103 zitiert. Die Mutter Jesu, die Jüdin war, betet hier auf Hebräisch aus dem Sefer Tehillim, dem Buch der Psalmen: „Preise den HERRN, meine Seele, und alles in mir seinen heiligen Namen! Preise den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat!“ (Ps 103,1–2)

Hiepel

Ludger Hiepel

Ich bin wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Zeit- und Religionsgeschichte des Alten Testaments an der Katholisch-Theologischen Fakultät. In Forschung und Lehre beschäftige ich mich neben dem Alten Testament, der Altorientalistik und bildtheologischen Fragestellungen auch immer wieder mit dem Judentum. Der christliche-jüdische Dialog ist mir dabei ein Anliegen. Mit Projekten wie diesem möchte ich einen theologischen Beitrag leisten, um leider immer noch bestehende Vorurteile – antijüdische Stereotype und antisemitische Verschwörungsmythen – gegenüber jüdischen Menschen abzubauen. 

Literaturhinweise

„Gott wirkt weiterhin im Volk des Alten Bundes“ (Papst Franziskus). Texte zu den katholisch-jüdischen Beziehungen seit Nostra aetate (Arbeitshilfen der Deutschen Bischofskonferenz, 307), Bonn 2019. www.dbk-shop.de

Grote, Udo/Schumacher, Ferdinand: Das Marienrelief im Paradies (Imaginationen des Unsichtbaren 26), Münster 2019.

Wacker, Marie-Theres: Ecclesia und Synagoga im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Historische Sondierungen in theologischem Interesse. Franz-Delitzsch-Vorlesung 2017, Münster 2018.

Wacker, Marie-Theres: Gottes erste Liebe. Christliche Wahrnehmungen des Judentums im Bistum Münster. In: Sattler, Dorothea (Hg.), Gedenken und Gestalten. 1200 Jahre Bistum Münster, Münster 2005, 48–86.